Autorin: Susanne Holst-Franke  •

Hier nun der versprochene Teil 2 meiner Vipassana Erfahrungen. Wer vorab nochmals den Teil 1 lesen möchte – hier der Link zum ersten Artikel … https://achtsamkeit4life.com/2018/10/08/vipassana-der-tsunami/

Vipassana – der Tsunami – Teil 2

Schmerzen

Tag 4 meines Abenteuers machte mir das Sitzen nicht einfacher. Ganz im Gegenteil, die Wahrnehmung meiner Körperempfindungen wurde immer intensiver. Sorry, Körperempfindungen hört sich so sanft und zart an – meine Realität war eine völlig andere – das Spüren der Schmerzen wurde immer intensiver – ausgelöst durch die Mittelohrentzündung. Der Schmerz fühlte sich schier unerträglich an. Manchmal wurde er abgelöst von Gedanken wie: „was mache ich hier?“ – „hat das für einen Sinn für mich?“ oder auch ein deutliches „du bist ja bekloppt“.

Gedanken, die weh tun

Und allmählich wurden meine Gedanken genauso schmerzhaft wie meine Körperempfindungen rund um meinen Kopf. Alles schien sich dort in diesem oberen Bereich zu zentrieren und das Gefühl verschärfte sich. Ich dachte mein Kopf könne explodieren. Stille. Wo war sie denn, die hoch angepriesene Stille? Hahaha, von wegen Stille – aber das Lachen war mir bereits vergangen.

Ich brauchte Abwechslung, ein wenig Ablenkung. Statt meinen Schmerz-Fokus ab-zu-lenken und ihn zum Beispiel auf meinen Atem zu lotsen, schaute ich in die Runde der Schweigenden. Sie sahen alle so ruhig und in sich ruhend aus – kein Tsunami, nix zu beobachten. Einfach nur Stille.

Endlich Abwechslung

Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit von einem Teilnehmer und seiner Sitzposition gefangen genommen – ich war erstaunt! Er saß auf ganz ungewöhnliche Weise auf seinem Meditationsbänkchen. Atypisch und sicherlich auch nicht ganz bequem. Statt es horizontal unter seinem Gesäß zu platzieren, befand es sich in der Vertikalen. Ein gerades, aufrechtes Sitzen muss für ihn eine Höchstanstrengung gewesen sein. Aber er tat es würdevoll und er tat es still.

Da ich mein Augenmerk auf seine einzigartige Haltung richtete, trat mein eigenes Leiden scheinbar in den Hintergrund und schon fast in Vergessenheit. Er inspirierte mich zum Spielen: Mit mir, meinem Ohr, meinen Augen, mit meinem ganzen Körper aber auch mit meinem Gedanken und Gefühlen. Dieses Sitzen in Stille bot sich regelrecht zum Spielen an. Also nahm ich zunächst einmal, voller Dank und Anerkennung, meinen Fokus weg von meinem Meditations-Kollegen und ging zurück zu mir – zunächst zu meinem Ohr.

Du darfst weh tun

Und ich erlaubte ihm zu schmerzen und bat es regelrecht, den Schmerz zu zeigen – aber da war einfach… NICHTS. Wer jetzt an eine Spontanheilung meinerseits glauben möchte, den muss ich enttäuschen. In dem Moment zeigte sich einfach nichts, kein Schmerz. Einfach Nichts. Nichts am Ohr und auch Nichts in diesem Moment. Und auch in diesem nicht – auch nicht im folgenden. Der Schmerz, trotz meiner mutigen Aufforderung, er möge sich doch bitte zeigen, blieb für eine ganze Weile in der Versenkung.

Versenkung! Was für ein tolles Wort im Zusammenhang mit Meditation! Aber es kam etwas anderes „um die Ecke“ …. es zeigte sich zunächst ganz sanft im Bereich meines Herzens, weitete sich aus in den Bauchbereich, um dann meinen ganzen Körper zu erfüllen und diesen über Tränen auch wieder zu verlassen: Glück. Tiefes Glück. Da war das Gefühl von tiefem Glück! Es gab keinen Grund. Keinen Auslöser. Es war da. Und es verging. Ich konnte es beobachten und es war tröstlich.

Vergänglichkeit

Ja, Vergänglichkeit hatte plötzlich etwas Tröstliches für mich. Diesen Trost sollte ich auch kurz darauf brauchen, als sich mein Ohr wieder meldete – kurz und knackig – um als dann für ein paar Gedanken Raum zu schaffen und daraufhin zeigte sich nach und nach ein buntes Schauspiel: in der Stille war alles … nur keine Langeweile!

Im Leben

So zeigten sich auch die folgenden 3 Tage sehr lebendig. Lebendig! Ja, das Leben zeigte sich. In jedem einzelnen Moment – mit all seiner Vielzahl von Empfindungen, Gefühlen, Gedanken und auch seiner Vergänglichkeit. Seither meditiere ich bei Langeweile, wenn ich Trost benötige, wenn ich Unterhaltung wünsche, wenn ich vorhabe, mir zu begegnen, auch wenn ich Spaß will oder eben, wenn ich gerade dort sein möchte wo ich gerade bin. Im Leben!

Susanne Holst-Franke