Autorin: Susanne Burkhardt  •  Lesezeit 4 Minuten  • 

Sarah 16

Sarah ist ein wundervoll spontanes, strahlendes Mädchen. Sie liebt die Bewegung, ihren Sport und sie geht gerne zur Schule. Sie ist intelligent und sprachbegabt. In ihren mündlichen Beiträgen durchweg eine Einserkandidatin. Hausaufgaben gelingen problemlos. Und doch hat sie den Weg zu mir, in die lerntherapeutische Praxis gesucht. Warum? In Testsituationen kann sie ihre Leistungen nicht zeigen, nicht abrufen. Testsituationen fordern Sarah heraus, setzen sie unter Druck. Sie möchte unter allen Umständen ihre Leistung zeigen und eine gute Note schreiben. Mindestens eine 2. Eine 3 reicht ihr nicht aus. Sie selbst beschreibt sich als sehr anspruchsvoll und dass sie hohe Erwartungen an sich hat. „Das hat sich so entwickelt, so ergeben. In meiner Schule, schon ab der 5. Klasse, waren alle so drauf. Wenn Du keine guten Noten gehabt hast, dann wurdest Du von den anderen nicht anerkannt,“ erzählt Sarah im Erstgespräch. Sie leidet darunter, dass sie ihre Fähigkeiten in Klassenarbeiten nicht zeigen kann und es zu einer Blockade kommt.

Lara 9

Lara besucht die Realschule. „Mathe ist nicht meine Stärke“, sagt sie. Dagegen ist sie herausragend sprachbegabt. Das genügt ihr aber nicht! Sie möchte genauso gut sein im Kopfrechnen wie ihre Mitschüler. Häufig denkt Lara, sie kann es nicht! Und sie macht sich große Sorgen, dass sie deswegen das Klassenziel nicht erreichen könnte.

Paul 9

Paul geht in die 4. Klasse. Er hat eine Lese-Rechtschreibschwäche. Diese fordert ihn jeden Tag heraus. Das Lesen fällt ihm nicht leicht. Trotzdem ist er sehr bemüht und möchte gute Noten in der Schule erzielen – denn er möchte doch so gerne auf die Realschule. Mit schlechten Noten geht das ja nicht! „Und obwohl ich mich so anstrenge und zu Hause mit meiner Mama ganz viel lerne, gelingt es mir nicht, auch mal eine 2 zu schreiben. Das ist so doof“, sagt Paul. So enorm frustrierend, dass Paul gar nicht mehr mit seinen Hausaufgaben anfangen möchte oder während den Hausaufgaben abschweift und zu träumen anfängt. Immer dieses Gefühl zu haben, den Anforderungen der Schule und seinen eigenen Erwartungen nicht gerecht werden zu können. Nicht zu genügen.

Da musst du durch!?!?

Was brauchen sie, Sarah, Lara und Paul, um aus dieser andauernden Stresssituation aussteigen zu können? Geht das überhaupt? Wie ist das, schon in jungen Jahren sich mit Stress konfrontiert zu erleben? Wird dies als normaler dazugehöriger Zustand integriert? Da musst Du jetzt halt durch! So ist das Leben! Das schulische System an die Vielzahl der Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen anzupassen, ist und bleibt ein Wunschgedanke.

Die Glitzerkugel

Lerntherapie ist für mich immer Hilfe zur Selbsthilfe. Was für ein Werkzeug biete ich den Kindern/ Jugendlichen an, um ihre Selbstwirksamkeit am besten wahrnehmen zu können und Zuversicht zu entwickeln. Vertrauen in ihre Fähigkeiten, in ihr Selbst. Sorgen, Grübeln, Nachdenken, was wird sein, sich auf mögliche Ereignisse gedanklich einlassen, verstärken die Stressreaktion. Die Metapher einer Glitzerkugel kann helfen, den Kindern zu zeigen, wie Gedanken und die Empfindungen unseres Körpers zusammenhängen. Die Glitzerpartikel in der Kugel stehen für Gedanken und Gefühle.

Die Glitzerkugel im Ruhezustand: Wir nehmen uns ruhig und klar wahr. Die Kugel wird in Aktion gebracht: Ähnlich einer Stresssituation, wir werden aufgeregt, aufgewühlt und unruhig. Die Glitzerpartikel trüben das Wasser. Mit den Gedanken und Sorgen ist es ähnlich. Der Geist kann so mit den Gedanken beschäftigt sein, den Körper in Unbehagen versetzen, dass fokussiertes Denken nicht mehr möglich ist. Wir haben in Stresssituationen keinen Zugriff auf das Langzeitgedächtnis. Das bedeutet, dass wir unser gespeichertes Wissen nicht abrufen können. Die Tür bleibt verschlossen. Aus Stress wird ein Misserfolgserlebnis.

Wo ist der Anker?

Gerne versuche ich den Kindern und Jugendlichen einen Anker zu bieten. Dieser kann in einer geistigen und körperlichen Unruhe, Sicherheit und Rückhalt bieten kann. Die Gedanken und Sorgen ziehen lassen und die Aufmerksamkeit auf einen einfachen, neutralen Gegenstand lenken. Achtsam atmen. Die Atmung als Anker, um zu entspannen und im Moment zur Ruhe zu kommen.

Hilfe – immer & überall dabei

Das besonders Schöne an einem Atemanker ist, dass wir ihn immer mit uns tragen. Damit der Anker in unangenehmen Situationen helfen kann, braucht es die tägliche Praxis, um den Muskel der Achtsamkeit zu trainieren. Sich seinen Atem vertraut zu machen. Dann wird klares Denken wieder möglich. Die Glitzerpartikel setzen sich ab, das Wasser in der Kugel klärt sich wieder. Achtsamkeit ermöglicht die feine Wahrnehmung von Empfindungen. Schön und wertvoll, wenn wir in jungen Jahren dafür sensibilisiert werden. Wir alle haben dieses Werkzeug in uns. Häufig verkümmert, weil wir uns zu sehr nach außen richten und den Erwartungen gerecht werden möchten.

Rettet das innere Kind!

Vielleicht ist es für die Kinder eine Chance, nicht zum Spielball der Leistung zu werden, wenn sie schon früh mit der Praxis der Achtsamkeit vertraut werden und wir uns erlauben, das innere Kind in uns zu bewahren.

Susanne Burkhardt