Autorin: Susanne Holst-Franke •  Lesezeit: 7 Minuten Artikel auch als Podcast •


Social Media & Selbstwert. Wenn ich meine Klienten auf die Nutzung ihres Smartphones anspreche, bekomme ich sehr häufig die Antwort, dass dieses täglich mehrere Stunden genutzt wird – hauptsächlich für „soziales Netzwerken“. Besonders junge Klientinnen sind oft bis zu 6 Stunden online – 6 Stunden!!! Und da sind meine Klienten keine Ausnahme, sondern eher der Durchschnitt.

Eine Statistik liefert folgende Zahlen:

„Die im Internet verbrachte Zeit in Deutschland stieg im Vergleich zum Vorjahr um 47 Minuten auf 196 Minuten pro Tag. Besonders stark ist die durchschnittliche Nutzungsdauer des Internets pro Tag in der Altersgruppe der 30- bis 49-Jährigen gestiegen. Während die durchschnittliche Internet-Nutzungsdauer in dieser Altersgruppe im Jahr 2017 noch bei 183 Minuten pro Tag lag, belief sich diese Nutzungsdauer im Jahr 2018 auf täglich 258 Minuten. Die höchste Nutzungsdauer mit durchschnittlich 344 Minuten pro Tag wurde in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen ermittelt.“

Wirkung

Wir sprechen hier also über ein Viertel des gesamten Tages. In Anbetracht dieser Zahlen frage ich mich einerseits, wann haben die Nutzer denn noch Zeit für „echte“ Gemeinschaften, für „echten“ Beziehungsaufbau und für „echten“ Kontakt mit sich selbst? Anderseits werfen diese Zahlen für mich die Frage auf, was diese Virtualität mit den Nutzern machen kann, wie es mit der Wirkung auf den Nutzer ausschaut. Es geht mir hierbei nicht um das Verteufeln der Sozialen Netzwerke, denn Wirkung hat durchaus auch etwas mit dem Empfänger zu tun.

Selbstwert

Vor kurzem wurde mir die Frage gestellt, ob ich einen Zusammenhang zwischen Social Media und Depressionen sehe. Kurze Frage, kurze Antwort: Möglicherweise ja! Denn ich sehe auch einen möglichen Zusammenhang zu Selbstwert-Problematiken. Von einem Selbstwert-Problem spricht man, wenn wir unseren eigenen Wert von bestimmten Merkmalen, Leistungen oder Eigenschaften abhängig machen. Können wir dann unseren eigenen Wertmaßstäben nicht genügen, geraten wir in emotionale Schwierigkeiten. Wir benutzen dabei also krank machende Denkweisen, die sich bspw. auf Eigenschaften beziehen, nach denen wir den Gewinn oder den Verlust des eigenen Wertes bestimmen.

Messen

Unsere Selbstwert-Konzepte sind von sozialen und kulturellen Einflüssen, Moralvorstellungen und Erziehungsnormen geprägt. Wenn unser eigener Maßstab also zum Beispiel Beliebtheit, Leistung, Anerkennung oder Besitz heißt, dann werden wir alles dafür tun, um stets beliebt zu sein, also unseren Selbstwert stabil zu halten. Gelingt uns das nicht, droht ein Selbstwert-Verlust.

Daraus resultieren viele depressive Störungsbilder, oder auch soziale Ängstlichkeit, Schamreaktionen oder Burnout. In der Regel kommen Menschen nicht wegen ihrer selbst gewählten Selbstwert-Bestimmungs-Maßstäbe in meine Praxis, denn meistens ist ihnen zunächst gar nicht klar, dass dies eine Ursache für ihr Leiden sein könnte. Sie kommen, um die emotionalen, negativen psychischen Auswirkungen loszuwerden, die aus der gewählten Art entstehen, nach der sie ihren eigenen Wert bestimmen.

Jetzt ist aber auch nicht jede Form von Selbstbewertung problematisch. Vielleicht ist die Bewertung der eigenen Leistungen und Eigenschaften normal und vielleicht auch hilfreich, beispielsweise beim Erreichen eigener Ziele. Ich bleibe heute aber mal bei den problematischen Selbstbewertungen. Social Media & Selbstwert

Pauschalisierung

Kritisch wird es mit der Selbstbewerterei, wenn wir anfangen zu pauschalisieren. Beim Pauschalisieren machen wir unseren GESAMTEN Wert von einem oder wenigen Merkmalen abhängig. Pauschalisierungen sind also Halbwahrheiten, unsinnig und auch gefährlich. Kritisch wird es auch dann, wenn wir unseren Selbstwert an willkürlichen Kriterien festmachen, bspw.

„wer schlank ist, ist erfolgreicher oder mehr wert“

Wahrnehmung

Und dann kommt auch noch die Wahrnehmung mit ins Spiel. Die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit ist sehr begrenzt. Man geht davon aus, dass der Mensch nur max. 1% dessen wahrnehmen kann, was wahrnehmbar wäre. Unser Gehirn blendet also 99% dessen aus was wir eigentlich wahrnehmen könnten. Wir nennen das Wahrnehmungs-Selektion oder auch Schutz vor einer Informationsüberflutung.

Mit dem verbliebenen 1% gehen wir dann noch schlampig um, indem wir uns willkürlich oder unbewusst auf das konzentrieren, was uns gerade am meisten interessiert – alles andere wird ausgeblendet! Bei der Bewertung unseres „Selbst“ gehen wir also möglicherweise auch sehr selektiv vor. Und dabei sind wir nicht immer zimperlich mit uns selbst und zünden auch schon mal gerne die eine oder andere Selbstwert-Rakete.

Selbstwert-Raketen

So eine Selbstwert-Rakete könnte, wie zuvor erwähnt, zum Beispiel „Beliebtheit“ oder auch „Leistung“ heißen. Um auf das Thema Social Media zurückzukommen. Wenn junge Menschen also Ihren Selbstwert über die Zahl ihrer Bewunderer oder Follower oder Likes definieren, so bietet das enorm viel Zündstoff. Social Media & Selbstwert

Glücklicherweise lassen sich ungünstige Selbstwert-Konzepte verändern und dabei wäre es hilfreich, sich seines eigenen Konzeptes zunächst einmal bewusst zu werden. Und unter bewusst werden meine ich hier den Zustand von geistig wach sein, sich gewahr-sein – wie in einer Meditation.

Meditation wirkt – ICH-SEIN – achtsam sein

Also warum nicht mal eine Selbstwert-Meditation ausprobieren und wirklich schauen, wie es um die eigenen Bewertungen steht? Kann ich mich selbst auch anders wahrnehmen? Finde ich Möglichkeiten einer anderen Selektion? Kann ich mein eigenes Selbstwert-Konzept entstehen lassen? Vielleicht freundlicher mit mir selbst sein? Und wie wäre „ICH-SEIN“ statt Gleichmacherei? Und wie wäre „SELBST LEBEN“ statt „FOLLOWER“ zu sein?

Wir haben immer wieder die Wahl – jeder Tag und jeder Moment kann ein Neustart sein.

Ihre Susanne Holst-Franke