Autor: Thomas Schönmetz • Dauer: 9 Minuten auch als Podcast •


Bergnot – die Atemrettung. Sicher haben sie schon davon gehört, dass in der Achtsamkeits-Thematik der Atem eine zentrale Rolle spielt, dass der Atem unser Anker sei, und … und … und. Auch bei Meditationen steht der Atem stets im Focus.

Viele Menschen denken: Atemzüge betrachten, Atemzüge zählen, Atem spüren … was ein langweiliger Quatsch. Was bringt das? Und was soll das vor allem mir selbst bringen? Atmen tut es doch eh von ganz alleine. Im Gegensatz zu adrenalin-getränkten Freizeit-Aktivitäten kommt eine Atem-Betrachtung natürlich sehr unspektakulär daher. Doch was ein solches – völlig unspektakuläres – Atemzüge zählen leisten kann, ja das erzähle ich ihnen in der folgenden Geschichte. Und danach wird für sie alles anders sein als zuvor! Versprochen!

Es geht um ein Berg-Unglück

Es geht um den Überlebenskampf von Patrik Stalder – einem Mineraliensucher der in den Schweizer Bergen vor einigen Jahren abstürzte. Über sein Unglück wurde auch im Schweizer Fernsehen berichtet. Der Titel war:

„Das Wunder vom Piz Beverin – Kampf ums Überleben“ (SRF DOKU)

Was passierte damals? Bergnot – die Atemrettung

Ein kurzer Überblick zum Unglück:

  • Der Mineraliensucher Patrik Stalder stürzte an einem Pfingst-Samstag mit einem Hang-Abgang rund 50 Meter in die Tiefe.
  • Beim Sturz wurde er von einem großen Felsbrocken getroffen und schwer verletzt.
  • Ein grober Überblick seiner Verletzungen: Nase zerschmettert, Mittelgesicht zertrümmert, Jochbogen gebrochen, offene Wunden am Kopf, mehrere Rippenbrüche links wie rechts / Brustbein mehrfach gebrochen
  • Bis zu seiner Rettung vergingen rund 50 Stunden
  • Außentemperatur tagsüber: +5 Grad / nachts: ca. -5 Grad
  • Rund ein Drittel der Zeit regnete es
  • Patrik Stalder hatte sich mit Erde und Schieferplatten im Steilhang mühevoll selbst stabilisiert, um nicht weiter abzustürzen
  • Er hatte sich mit Schlamm und Gestein etwas zugedeckt bzgl. Isolation – trotz enormer Schmerzen
  • Er war rund 50 Stunden ohne Trinken und Essen weil er seinen Rucksack nicht erreichen konnte
  • Trotz enormer Erschöpfung blieb er 50 Stunden wach
  • Bei der Einlieferung in die Klinik war seine Körpertemperatur nahezu normal, obwohl er keine Jacke trug!

Bewusstsein schaffen

Patrik Stalder wusste nach seinem schweren Absturz, dass ihn – aller Wahrscheinlichkeit nach – die kommenden 2 Tage niemand vermissen würde. Diese Tatsache machte er sich „bewusst“ – er schuf ein klares Bewusstsein für seine Situation. In der Dokumentation beschreibt er diese unglaubliche Klarheit die in ihm wuchs.

Schmerzen spüren, hören & nicht schlafen

Da waren diese unsäglichen Schmerzen. Wie damit umgehen? Er rückte mit kleinsten Bewegungen seinen Körper in eine Position, in welcher die Schmerzen einigermaßen erträglich waren. Er spürte sich selbst – von Kopf bis Fuß – und nahm jedes Detail wahr. Bergnot – die Atemrettung

Er richtete seine Aufmerksamkeit auch extrem auf das Hören und nahm alles an Geräuschen wahr, was sich ihm an Geräuschen bot: Vogelgezwitscher, Wind, Regentropfen, usw.. Ein weiteres Stück Bewusstsein war für ihn der folgende Fakt: „wenn ich einschlafe, dann werde ich bei diesen Bedingungen sterben“. Doch wie beschäftigt man sich, derart schwer verletzt, um nicht einzuschlafen? Dies fällt ja schon einem gesunden Menschen recht schwer.

Atem-Beobachtung rettet Leben

Und so kam er auf die Idee seine Atemzüge zu zählen, damit sein Geist beschäftigt war und er nicht Gefahr lief, einzuschlafen. Aus diesem Zählen der Atemzüge leitete er auch seine eigene Zeitrechnung ab.  Nach 10 Atemzügen drückte er seine Hände zusammen und versuchte eine Art Körperspannung herzustellen – dies so lange, bis er irgendwo Wärme im Körper wahrnehmen konnte. Natürlich war dies wiederum eine mit Schmerzen behaftete Aktivität. Doch er wusste, dass ihn genau dies am Leben halten würde. Und den zuvor beschriebenen Rhythmus erhielt er aufrecht – 50 Stunden lang – bis er gefunden und gerettet wurde.

Atemzüge zählen – Körperspannung – Atemzüge zählen – Körperspannung – Atemzüge zählen – Körperspannung …

FÜNFZIG Stunden lang

Natürlich ging ihm auch viel durch den Kopf – keine Frage. Doch er kam mit höchster Disziplin immer wieder zurück zu seinem Atem und zu seinen Aufgaben, die er sich selbst auferlegte. An einer Stelle der Dokumentation beschreibt er auch eine Art „meditativer Ruhe“ die sich mit dieser Übung bei ihm mehr und mehr einstellte.

Und ich möchte nochmals erwähnen, dass er mit fast „normaler“ Körpertemperatur in die Klinik eingeliefert wurde. Diese Tatsache beeindruckte alle behandelnden Ärzte zutiefst. Ich finde es ein sehr beeindruckendes Beispiel, wie Patrik Stalder hier das Werkzeug „Atem-Rhythmus“ einsetzte und auch sein hohes Maß an Disziplin und Selbstwahrnehmung.Bergnot – die Atemrettung

Und nun können wir uns gerne nochmals über die scheinbare „Langeweile“ einer Atem-Übung unterhalten. Ich stimme auch jetzt noch zu, dass eine Atemübung nichts Spektakuläres ist. Doch mit ihr lassen sich – allem Anschein nach – Grenzen überwinden! Natürlich hätte ich auch einen Artikel verfassen können, der ihnen die Vorteile von Atemübungen beschreibt. Doch Hand auf’s Herz. Hätte sie das beeindruckt? Hätten sie sich von meinen Schilderungen derart beeindrucken lassen? Wohl eher nicht.

Doch die Geschichte von Patrik Stalder und seinem Unglück zeigt wohl deutlich auf, welche Energie und Kraft in solch einer „Atem-Übung“ steckt.

Kurzum – achten sie doch mehr auf ihren Atem! Achten sie auf ihre Wahrnehmung, auf ihre Sinne und auf den Moment! Damit können sie sehr viel bewegen in ihrem Leben – auch ohne erst ein Unglück erfahren zu müssen.

Vielleicht wollen auch sie – völlig unspektakulär – ihre wahren Potentiale entdecken?

Ihr Thomas Schönmetz

Titel der Dokumentation: Das Wunder vom Piz Beverin – Kampf ums Überleben (SRF DOKU)
Der Link zur Dokumentation des Schweizer Fernsehens (solange verfügbar): https://bit.ly/2SQnCZx