Autorin: Jennifer Wassermann • Dauer: 8 Minuten  


Fehlende Berührung – Begrüßungen ohne Körperkontakt. Wie können wir dennoch achtsam miteinander umgehen? Begrüßungen sind Kommunikation. Auch hier gilt es den anderen zu respektieren und achtsam miteinander umzugehen. Doch was verändert sich gerade in dieser begrüßungsarmen Zeit? Können unsere Bedürfnisse nach Nähe überhaupt noch erfüllt werden?

Egal ob im beruflichen oder im privaten Kontext, wir tun uns mit Begrüßungen ohne Körperkontakt schwer. Unabhängig davon, ob wir von Umarmungen oder vom Handschlag sprechen, eine Begrüßung ohne Berührung ist viel mehr als nur eine flüchtige, austauschbar Geste. Es ist ein fein abgestimmtes Ritual, zwischen zwei Personen. Wir bewegen uns auf den Anderen zu, suchen Blickkontakt, warten auf Reaktion – zum Beispiel Hinwendung des Körpers, offene Arme oder ein Lächeln. Dann kommen wir uns nahe und fassen uns an. Temperatur, Druck, Schweiß, Geruch des Anderen wird von uns aufgenommen. Doch warum tun wir das? Berührung hat zumindest vier wichtige Funktionen.

1. Berührung signalisiert Aufmerksamkeit

Bei einer Berührung schenkt man seinem Gegenüber Aufmerksamkeit und fordert gleichzeitig Aufmerksamkeit ein. Dies geschieht automatisch durch unbewusst ablaufende Prozesse im Gehirn. Das Gehirn geht dabei von einem Ruhezustand in einen Zustand aufmerksamer Wachsamkeit über. Gerade die ungeteilte Aufmerksamkeit, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, ist ein Geschenk, das wir uns heute nur mehr selten geben.

2. Berührung liefert Informationen

Durch die Berührung können wir die andere Person besser einschätzen. Durch das Erspüren des Körpers können wir Rückschlüsse auf z.B. Persönlichkeit und Gefühlslage ziehen. Wir können durch die Nähe den Gesichtsausdruck sehen und den Körpergeruch riechen. Gerade der Geruch gibt uns Informationen über Nervosität, Anspannung, Freund oder Energie. Dieses Wissen hilft uns den richtigen Ton im Umgang mit anderen zu treffen. Diese Informationen geben uns auch einen gewissen Schutz in Bezug auf den anderen, wir können ihn besser einschätzen.

3. Berührung drückt Vertrauen aus

Alle Formen der körperlichen Begrüßung können als Zeichen des Vertrauens betrachtet werden. Wir kommen unserem Gegenüber nahe und vertrauen darauf, dass er oder sie uns nicht attackiert oder mit Krankheiten infiziert. Rein instinktiv halten wir zu fremden Personen einen sicheren Abstand. Viele empfinde auch ungewollte Berührungen von Fremden als abstoßend und ekelhaft.

4. Berührung zeigt uns die Hierarchie

Gerade am Arbeitslatz in einem Meeting kann man gut beobachten wie Begrüßungen die Hierarchien zeigen. Nicht nur für die Beteiligten, sondern auch für die Zuschauer setzt dies Zeichen, wer begrüßt mit Handschlag, wer kommt sich nicht nahe und wer wird sogar umarmt? Meist wird die Begrüßungsart vom statushöheren Interaktionspartner gewählt und der Andere fügt sich.

Was bedeutet die neue Situation für uns?

Diese Gewohnheiten geben uns Orientierung und helfen uns schnell zu handeln. Mit dem Gebot des Abstandhaltens wird dies unterdrückt. Das erfordert von uns eine bewusste Anstrengung. Beide Interaktionspartner müssen sich gleichzeitig daran erinnern, dass die alte Gewohnheit nicht mehr erwünscht ist. Das Verweigern des Rituals verletzt eine gesellschaftliche Norm und kann als Affront angesehen werden, wenn der in der Hierarchie niedriger stehende Partner das Ritual verweigert.

Neu entstandene Formen wie der Ellbogen oder Fußkontakt und auch das Zunicken signalisieren dem Gegenüber Aufmerksamkeit. Sie sind aber bei Weitem nicht so geeignet Vertrauen auszudrücken. So ist der spitze Ellbogen körpersprachlich eher ein Zeichen von Abwehr. Unterschwellig schwingt die Botschaft mit, dass der Andere doch nicht so vertrauenswürdig ist.

Je länger die Empfehlungen zum Abstandhalten bleiben, desto eher werden sich neue Grußformen durchsetzen. Dennoch ist es im Privatbereich schwer vorstellbar, dass die Berührungen verschwinden. In der Arbeitswelt ist es jedoch denkbar, dass sich kontaktarme Rituale etablieren könnten.

Halten wir die Regeln ein und schaffen wir es dennoch dem Anderen mit Wertschätzung und Aufmerksamkeit zu begegnen, so kultivieren wir die Achtsamkeit als Akt der Freundlichkeit uns und anderen gegenüber. Es bedeutet jetzt ein achtsames Gewahrsein darin, dass wir uns um uns selbst und auch die anderen Menschen kümmern, indem wir versuchen Ansteckungen zu vermeiden. Auch wenn die neuen Rituale vorerst noch ungewohnt sind, zeigen sie ein durchaus mitfühlendes Verhalten.

Wie auch immer man dazu steht macht uns diese berührungsarme Zeit deutlich, wo und wie uns die Nähe zu anderen fehlt. Jeder kann für sich überlegen wie er sich um Nähe, Vertrauen und Respekt der Mitmenschen bemühen kann.

Ihre Jennifer Wassermann