Autorin: Susanne Holst-Franke • Dauer: 5 Minuten • 


Berührung. In einem Gespräch der vergangene Woche berichtete mir eine Klientin von einer, wie sie es nannte, merkwürdigen Begegnung: Bei einer Veranstaltung wurde sie von einem Teilnehmer mit einem Händeschütteln begrüßt.

Sie führte aus: „Wissen sie, zunächst dachte ich, dieser Typ ist ja ganz schön unachtsam, sicherlich ist ihm das einfach so passiert, wahrscheinlich war es ein völlig unbewusster Vorgang. Mein Hirn begann augenblicklich ihn und sein Händegeben zu bewerten. Und während ich noch damit beschäftig war, ihn und sein merkwürdiges Verhalten, in Zeiten von vorherrschenden Schutzmaßnahmen, zu be-und verurteilen, nahm ich plötzlich dieses angenehme Gefühl von Verbundenheit, gar Vertrautheit wahr. Und gleichzeitig beschlich mich ein Gefühl von Scham, Berührtheit und gleichzeitig Betroffenheit. Sollte es so einfach gewesen sein, in Verbindung zu gehen?“

Ja, manchmal ist es genau so einfach! Viel spannender als die Frage „ Wieso macht er so etwas?“ ist doch die Frage :

„Was macht Berührung mit uns Menschen?“.

Durch Berührungen können wir, wie in dem oben genannten Beispiel, in Verbindung gehen. Aber eben auch noch ganz viel mehr. Durch Berührungen wird das Hormon Oxytocin aktiviert und gleichzeitig der Abbau von Stresshormonen. Oxytocin verringert aber nicht nur Stress, sondern auch Ängste und Spannungen. Positiv wirkt es sich zusätzlich auf unser vegetatives Nervensystem aus, verlangsamt somit die Atmung und den Herzschlag und senkt den Blutdruck. Berührung. 

Studien zeigen, dass 20 Sekunden Umarmung gefolgt von 10 Minuten Handhalten, den Blutdruck und Herzschlag senken. Sind das nicht tolle Nachrichten? Berührungen sind fundamental – sie sind genauso lebensnotwendig wie gesundes Essen und Bewegung – und dieses Trio wirkt sich in der Tat günstig auf unser Immunsystem aus.

Berührungen sind aber noch viel mehr.

Sie sind beispielsweise ein Teil der Kommunikation. Wir können damit Zuneigung, Vertrauen, Zustimmung, Mitgefühl, Trost, Zusammenhalt, Rückhalt, Unterstützung, Ermutigung, Anerkennung und vieles mehr ausdrücken. Ebenso spiegeln sich die Gefühle, die wir durch Berührungen spüren, in der Sprache wieder: „ich bin berührt“ (etwas geht mir nah ) oder etwa „das geht mir unter die Haut“ (es hinterlässt Spuren). Berührung. 

Berührungen, taktile Reize, nehmen wir mit unserem Tastsinn wahr. Der Tastsinn ist der erste, der sich im Leben entwickelt und der einzige, der immer aktiv ist und uns bis ins hohe Alter ohne größere Einbußen erhalten bleibt. Er ist also von großer Bedeutung für die gesunde Entwicklung des Menschen. In Experimenten mit Affen hat man festgestellt, dass bei fehlendem Kontakt zur Mutter, sich drastische Entwicklungs-und Verhaltensstörungen zeigten. Fehlende Körperberührungen bedeutet für alle Säugetiere „Du bist allein und somit nicht überlebensfähig“. Berührung. 

Social distancing

Wenn wir also über längere Zeit sozial isoliert leben und uns einsam fühlen, leiden wir unter Umständen körperlich, wie auch seelisch. Und genau dies ist in den vergangenen eineinhalb Jahren vielen Menschen widerfahren: sie leiden unter sozialer Isolation und mangelnden Körperberührungen. Social distancing wurde und wird propagiert, denn es soll uns schützen und unsere Gesundheit erhalten. Berührung. 

Natürlich können wir das gewünschte Verhalten in eine trendy Wort-Verpackung stecken. Aber mal ernsthaft: Nur weil man vor das Wort distancing (negativ konnotiert) das Wort social (positiv konnotiert) stellt, wird doch noch lange nichts Gutes oder gar Gesundes draus!

Wir können die Distanz doch nicht ignorieren, nur weil dort „sozial“ dazugepackt wird! Seit letztem Jahr siegen vermehrt neue Regeln über die Norm und auch über unsere Grundbedürfnisse. Worte wie Nähe oder Körper-Kontakt wurden umgedeutet: Kontakt soll etwas Gefährliches, Unsolidarisches oder gar Krankmachendes sein.

Und diese Umdeutung hat weder zu mehr Gesundheit, noch zu mehr Empathie geführt, sondern zu einer vermehrten Verunsicherung im Kontakt mit unseren Mitmenschen. In zahlreichen Fällen hat es zu Angst vor anderen und vor Krankheiten geführt. Berührung. 

Berührungskultur

Unsere Berührungskultur mag durcheinandergeraten sein – wir streicheln im Alltag ja mehr den Bildschirm als Menschen! Aber möglicherweise ist nun der ein oder andere auch wieder bereit für neue, achtsame und intensive Berührungen, „wirk-lich“ zu berühren und somit in Verbindung zu gehen. Berührung. 

Ihre Susanne Holst-Franke