Autorin:  Jessica Granitza • Dauer: 5 Minuten • 


Stress entsteht immer im Gehirn. Manche Menschen haben einfach die Ruhe weg und andere scheinen dauernd gestresst zu sein. Liegt das wirklich daran, dass die einen ein stressigeres Leben haben als die anderen, oder hat es weniger mit den äußeren Umständen zu tun, als gedacht?

Stressoren

Um Stress auszulösen bedarf es eines sogenannten Stressors. Darunter versteht man eine Herausforderung, die als bedrohlich wahrgenommen wird. Bedrohlich ist eine Situation immer dann, wenn wir deren erfolgreiche Bewältigung wir als wichtig, aber unsicher einschätzen. Eine Stressreaktion wird nur bei solchen Anforderungen ausgelöst, bei denen wir unsicher sind, ob uns eine Bewältigung der Anforderung gelingen kann – unabhängig davon, ob wir objektiv in der Lage sind, die Anforderungen zu bewältigen. Stress entsteht also immer erst dann, wenn in unserer Vorstellung eine Diskrepanz zwischen der Anforderung einerseits und unseren eigenen Bewältigungskompetenzen andererseits besteht. Dabei ist das Stresserleben umso intensiver, je höher die Anforderungen im Verhältnis zur eigenen Leistungsfähigkeit eingeschätzt werden.

Die Interpretation durch unser Gehirn

Wir sind also im Bereich der Wahrnehmung – und unsere Wahrnehmung ist immer eine Interpretationsleistung durch unser Gehirn. Einfach gesagt, unser Gehirn bewertet jede über unsere Sinnesorgane eingehende Information. Zunächst findet im Zwischenhirn (Thalamus) eine grobe Sortierung nach wichtig oder unwichtig statt. Wichtige Infos werden dann an die Großhirnrinde weitergeleitet, unwichtige verworfen. Unsere Großhirnrinde macht einen Abgleich mit unserer Biographie, das heißt mit vermeintlich ähnlichen bedrohlichen Erfahrungen aus unserem Leben. Und für den inneren „Alarm“ kann es ausreichen, dass uns irgendetwas an der aktuellen Situation an eine bedrohliche Situation entfernt erinnert.

Wir sehen unsere Wirklichkeit durch die Brille unserer im Leben gemachten Erfahrungen.

Zu den Erfahrungen kommen weitere „Bewertungskriterien“ oder Stressverstärker hinzu: Das sind vor allem unsere Einstellungen und unsere Erwartungen, unsere Ansprüche an uns selbst und an andere, unsere Motive und Ziele, unsere Sorgen und Ängste. Diese individuellen Bewertungskriterien tragen entscheidend dazu bei, ob eine Stressreaktionen ausgelöst wird und in welcher Heftigkeit. Wie wir auf Stressoren reagieren, ist also abhängig von unseren persönlichen Stressverstärkern. Sie stellen gewissermaßen unseren „eigenen Anteil“ am Stressgeschehen dar.

Stress entsteht also erst durch die Bewertung im Gehirn.

Eine Übereinstimmung darüber, was „Gefahr“ ist und was nicht – und somit den Körper in Sekundenschnelle in den Höchstleistungsmodus (!) versetzt – , wird sich von Mensch zu Mensch nur dort ergeben, wo extrem gefährliche oder lebensbedrohliche Umstände vorliegen. In allen anderen Fällen reagieren die Menschen auf ein- und dieselbe Situation ganz unterschiedlich. Was den einen auf die Palme bringt, lässt den anderen kalt.

Manchmal wird Stress auch gebraucht, um unangenehmen seelischen Wirklichkeiten, die man nicht wahrhaben will, aus dem Wege zu gehen. Man setzt sich selbst unter Druck, um innere Leere, depressive Verstimmungen, Gefühle von Sinnlosigkeit und Einsamkeit nicht aufkommen zu lassen. Stress wird so ein Mittel zur Flucht vor sich selbst.

Eine weitere Rolle im Rahmen der Stressverstärker spielen die individuellen Bindungserfahrungen und die erhaltene Zuwendung zu Beginn unseres Lebens. Menschen die eine unsichere Bindung zu ihrer ersten Bezugsperson, also in der Regel der Mutter, erleben mussten oder deren Mutter selbst gestresst war und daher nicht ausreichend Sicherheit und Zuwendung geben konnte, reagieren schneller und intensiver auf Stressoren, als Menschen, die sichere Bindungserfahrungen machen konnten. Insbesondere dauert es bei diesen Menschen länger, bis die Stressreaktion endet.

Wir haben es in der Hand bzw. im Kopf

Wir können ganz maßgeblich Einfluss darauf nehmen, wie unser Gehirn mit Herausforderungen umgeht.

Durch die Kultivierung gesunder Geisteshaltungen können wir unser Stresserleben selbst verändern.
Es lohnt sich bestimmt, in Stresssituationen mal genauer hinzuschauen. Bereits die bewusste Wahrnehmung des Ablaufs einer Stressreaktion kann diesen bereits verändern.

Ihre Jessica Granitza