Autorin:  Antje Künstle • Dauer: 5 Minuten • 


Licht & Schatten – oder warum ich Heavy Metal liebe. Jetzt, wo ich das schreibe, sind wir im Herbst angekommen, die dunkle Jahreszeit liegt vor uns. Für viele eine schwierige Zeit. Es wird kälter und wenn es bewölkt ist, oft schon am Nachmittag dunkel. Und manche wünschen sich die Unbeschwertheit und Leichtigkeit eines strahlendes Sommertages zurück. Aber warum ist das so, dass wir dem Licht den höheren Stellenwert geben? Dass wir die Dunkelheit ablehnen, sie gar fürchten? Gehört sie nicht zum Leben dazu?

In den meisten Religionen oder spirituellen Traditionen wird das Licht verehrt und teilweise als heilig betrachtet. Daraus entsteht Dualität, nämlich weil der Gegenpart davon, die Dunkelheit verdrängt oder gar verteufelt wird. Ihr werden sogar nicht selten böse Eigenschaften zugeschrieben, wie wir es aus Märchen und Mythen kennen.

Yoga bedeutet Einheit. Wenn wir in der yogischen Tradition von Einheit oder Eins-sein sprechen, bedeutet das, mit allem was ist, verbunden zu sein. Sobald wir etwas ausschließen entsteht Trennung, also das Gegenteil von Einheit.

Und ich erlebe in der Yoga Community oder auch generell in der spirituelle Szene eine starke, teils sehr einseitige Konzentration auf das vermeintlich Gute, Lichtvolle. Und damit möchte ich das in keinster Weise abwerten. Wir singen Mantras und meditieren für den Weltfrieden, und suchen diesen Frieden auch in uns. Doch wie können wir Frieden finden, wenn wir dabei bestimmte Anteile und Eigenschaften rigoros ablehnen? Was ist mit den dunklen Anteilen in uns? Mit unserer Wut, mit dem ganzen Frust? Was ist, wenn Ängste uns runterziehen oder wir einfach nur genervt sind? Wenn Zweifel und Eifersucht an uns nagen oder der Weltschmerz uns überwältigt? Sind wir dann automatisch schlechte Menschen? Haben wir dann als Yogis versagt, weil wir die helle Schwingung nicht dauerhaft aufrechthalten können?

Und tatsächlich höre ich nicht selten: „Ausgerechnet Du leidest unter Migräne? Wie, du hast noch Selbstzweifel? Wo du doch schon jahrelang Yoga machst?“

Ja, Verdammt. Auch als Yoga Lehrerin schwebt man nicht immer auf Wolke sieben und kennt durchaus mal schlechte Tage. Und genau das darf auch sein. Wo Licht ist, gibt es auch Schatten. Ganz natürlich.

Und wo ich schon dabei bin beim authentisch sein: Ich stehe total auf Heavy Metal Musik. Auch etwas, das scheinbar ganz und gar nicht zur Yogawelt passt. Innere Ruhe suchen und sich dann diese laute, aggressive Musik reinziehen. Mehr Differenz geht nicht. Doch ich habe die Vermutung, dass sich unter meinen Yogis einige heimliche Metal-Fans tummeln. Für mich und für viele andere, wahrscheinlich die meisten Fans dieser Musikrichtung hat es therapeutische Wirkung. Der Großteil der Texte dieser Musikrichtung befasst sich mit Vergänglichkeit, Schmerz, Verzweiflung, Wut, Kampf, eben den menschlichen Abgründen.

Somit wird der aktive und bewusste Umgang mit diesen Themen gefördert aber auch deren Erlösung. Und beim lautstarken Hören von kreischenden Gitarren und hämmernden Schlagzeugbässen entsteht so eine starke körperliche Erfahrung, die einen regelrecht erschüttert und dabei enorme Energien freisetzt. Es hat was angenehm befreiendes, wenn man auf einem Konzert rausschreien und abschütteln kann, all das, was einen verunsichert oder ohnmächtig fühlen lässt angesichts der Krisen in dieser Welt. Stresshormone können dabei ebenso gut abgebaut werden wie zum Beispiel beim Joggen. Vorausgesetzt, man mag die Musik.

.Eine Studie der Cardiff Metropolitan University hat 2019 herausgefunden, dass das Hören von Heavy-Metal eine reinigende Wirkung auf die Psyche hat, weil der Hörer durch die harten Klänge eine Art Ventil für seine innersten Gefühle bekommt. Das kann ich nur bestätigen. Das soll hier keine Werbung für Heavy-Metal sein. Ich möchte nur darstellen, dass es viel mehr ist als nur Krach. Es hat Bedeutung für jeden, der diese Musik liebt. Die Musikstücke selbst sind teilweise hochkomplex und besitzen eine Dramatik & Tiefe, die man in anderen Musikrichtungen lange suchen kann. Mit Ausnahme von klassischer Musik. Hier gibt es interessanterweise nachgewiesen Parallelen. Aber das ist ein anderes Thema, über das man im Internet nachlesen kann, wenn man möchte.

Es geht auch nicht darum, die ganze Metal-Szene über einen Kamm zu scheren, das würde der Thematik nicht gerecht werden. Und genauso wenig kann man alle Menschen, die Yoga oder Meditation praktizieren pauschalisieren. Nicht jeder, der meditiert ist automatisch ein rücksichtsvoller Mensch. Auch wenn man regelmäßig Yoga macht, ist man deshalb noch lange nicht erleuchtet. Es gibt eben mehr als schwarz-weiß, gut und böse, richtig und falsch.

Auch mir fehlt im Herbst &Winter manchmal das Sonnenlicht. Doch was ich an der dunklen Jahreszeit mag, wenn sich das Leben weniger im außen abspielt; ist die Einladung tief nach innen zu tauchen. Das eigene Selbst ergründen und sich ehrlich und wahrhaftig mit seinen ungeliebten Gefühlen und destruktiven Glaubenssätzen auseinandersetzen. Sich mit den eigenen Schatten beschäftigen. Die gehören nämlich auch dazu. Genau wie die Dunkelheit zum Licht gehört.

Das Yin & Yang Zeichen ist dafür ein anschauliches Beispiel. Beide Gegensätze werden in einem wunderschönen Symbol vereint, sie fließen ineinander und ergänzen sich. Und so entsteht eine harmonische Einheit- durch ein Gleichgewicht der Kräfte.

Deine Antje Künstle