Autor: Thomas Schönmetz  • Dauer: 5 Minuten  


Der Tanz mit „Frankensteins Tochter“. Man könnte auch sagen: achtsam Motorradfahren! Doch geht das überhaupt – achtsam Motorradfahren? Ich habe es versucht. Doch jetzt erst mal von vorn.

Die letzten Jahre habe ich mir immer wieder Motorräder gemietet, um ein paar Tage zu fahren. Meine Vorbereitungen glichen der Planung einer Alpenüberquerung. Ich habe wochenlang Touren von anderen Bikern gelesen und betrachtet, habe Touren übernommen und digital nachbearbeitet. Stunden über Stunden saß ich da und verfeinerte diese nochmals, um irgendwie „das Optimale“ zu erreichen. Dann wurden Halterungen angeschafft, um die bis zum Exzess optimierten Routen auf meinem Mobile vor der Nase am Lenker zu haben, um letztlich korrekt und ohne jeglichen Fehler diesen digitalen Werken peinlichst genau zu folgen. Dieses Jahr war alles anders – alles!

Was ist „eigentlich“ das Optimale, das Beste, das Herrlichste, das Wundervollste? Kann man das mit Vorbereitung erreichen?

Zeitlich muss ich dazu etwas zurückrudern – dorthin wo alles begann.

Frankensteins Tochter | 1972

Dieses Jahr wollte ich die Kawasaki Z900 RS fahren. Warum ausgerechnet dieses Bike? Dieses Modell ist der gelungene Nachbau einer wahren Motorrad-Legende, der Kawasaki Z1 (900 Z1). Dieses Bike kam 1972 auf den Markt. Damals war es das mächtigste Motorrad der Welt – 79 PS und eine Höchstgeschwindigkeit von knapp 230 km/h. Zu dieser Zeit waren das galaktische Werte. Die Bremsen standen hinsichtlich Leistung in keinerlei Verhältnis zu diesem gewaltigen Motor. Nicht umsonst nannte ein Motorradjournalist damals dieses Bike auch „Frankensteins Tochter“. Dieser Name blieb – eine Art Widmung dieser „nicht ausbalancierten“ Ingenieursleistung. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich als Junge mir meine Nase am Schaufenster des Zweiradhändlers platt drückte und dazu die buntesten Tagträume hatte – auch meinen Freunden erging es nicht anders.

Frankensteins Tochter | 2020

Und heute sitze ich mit meinen 59 Jahren auf der „wiederbelebten“ Version dieses Jugendtraums – eine Ansammlung unglaublicher Erinnerungen steigen auf – ich lasse sie aufsteigen und betrachte sie. Natürlich ist alles modifiziert und technisch auf auf dem Stand der Zeit. Das Faszinierende ist, dass die Maschine der Urspungsvariante zum verwechseln ähnlich sieht. Der Tanz mit „Frankensteins Tochter“

Tschüss Planung – willkommen Entscheidungsfreiheit

Ich löschte im Kopf all die geplanten Routen und fuhr einfach „drauf los“ – 950 km in 3 Tagen. Wenn ich morgens das Haus verließ, stand die Maschine vor dem Haus in der Sonne und funkelte – also beste Bedingungen, um sich auf zwei Rädern wohl zu fühlen. Jetzt aber los … achtsam … wie das gehen soll???

Ich genoss bereits das Aufsteigen und Sitzen – ja … einfach drauf sitzen. Dann das Spüren ob die Balance stimmt, ob wir Beide miteinander können … die ersten Meter in Mikrogewindigkeit mit leichtem Druck auf die Hinterradbremse. Es passt … weil ich es spüre! Dann fuhr ich los … einfach so … Ziel? … hab ich keines … links oder rechts? … das entscheide ich, wenn ich an der Kreuzung stehe … welche Ausfahrt im Kreisverkehr? … das entscheide ich, wenn ich alle Ausfahrten gesehen habe … und mit diesem „freien Kopf“ ging es drei Tage lang über die Schwäbische Alb – und drumherum.

Einfach nur „Fahren“

Ich musste mich auf kein Display konzentrieren, auf keine fixe Route und auf keine Ansagen – und – ich musste mir keine Gedanken machen (keine Produktion von Gedanken!). Ich „fuhr“ einfach und war ganz beim Fahren. Einfach dieses „Ding“ fahren … ähnlich der Übung „ganz bei meinem Atem sein“ … mit allen Sinnen fahren … und sich nicht von diesen Planungs-Gedanken ablenken lassen … da war nur dieses pure „Fahren“. Beim Motorradfahren ändert sich Vieles im Vergleich zum Autofahren. Ins Auto setzt man sich rein, muss nicht balancieren, in Kurven nicht drücken oder reinhängen, nicht mit der Hinterradbremse stabilisieren und es fällt nicht um – im Stand zumindest. Der Tanz mit „Frankensteins Tochter“

Anderer Blickwinkel

Mein Blick ändert sich, ich blicke weit, ich fokussiere mehr, ich bin konzentrierter als bei einer Autofahrt … ja, ich bin mehr bei der Sache. Vor allem sind Kurven von einem anderen „Erleben“ geprägt. Da ist dieses wesentlich bewusstere Anfahren einer Kurve … also wo muss ich auf der Strasse hinfahren um die Kurve zu beginnen, dann das Durchfahren mit einer festgelegten Gangwahl und fixen Gasstellung und letztlich das Verlassen der Kurve mit harmonisch integrierter Beschleunigung … ein Abfolge von anspruchsvollen Momenten … eben eine ganz andere Sache als auf 4 Rädern. Der Tanz mit „Frankensteins Tochter“

Zum Thema „STVO“ & „im Recht sein“. Auch hier ändert sich meine Einstellung gravierend. Fahre ich mit dem Auto eher nach den Vorgaben … bspw. „ich habe Vorfahrt“ … so passiere ich die Kreuzung zwar aufmerksam, doch eher locker. Auf dem Bike mache ich das anders. Auch wenn ich Vorfahrt habe, so reduziere ich an einer Kreuzung die Geschwindigkeit etwas mehr als mit dem Auto, beobachte alles und bin wie ein Raubtier auf alles vorbereitet … sofort bremsen … ausweichen … oder die Flucht in einen freien Raum. Alle Optionen sehen  – jedoch ohne vor Angst zu verkrampfen! Auf zwei Rädern kann ein verbohrtes „auf sein Recht pochen“ letztlich zu einem „pochenden Schmerz“ werden.

Und ja, … mir ist bewusst, dass auf zwei Rädern der Tod näher ist als bei einer Autofahrt … wesentlich näher!

Trotz aller Risiken hatte ich die 3 Tage „verdammt“ viel Spaß. Ich gewann sehr viele Eindrücke aus der Natur, erlebte tolle Strecken, hatte stets eine gute Verbindung zur Erde (Strasse) und war am Ende glücklich, dass der Tanz mit „Frankensteins Tochter“ gut gelang.

Ihr Thomas Schönmetz