Autorin: Antje Künstle •  Lesezeit: 6 Minuten Artikel auch als Podcast •


Schon seit ich mich mit Spiritualität und Lebensphilosophien auseinandersetze bin ich immer wieder auf folgendes Problem gestoßen. Sobald ich geglaubt habe, es zu verstehen: „Aha, so ist es!“ habe ich festgestellt, dass auch das Gegenteil davon nicht unwahr ist. Gibt es die absolute Wahrheit?

Verunsicherung

Lange Zeit hat mich das sehr verunsichert, weil ich glaubte, dass es an mir liegt, dass ich zu keiner klaren Meinung fähig bin und wie ein Fähnchen im Wind mich immer wieder umstimmen und vom Gegenteil belehren lasse. Doch schon Thomas Mann sowie andere Philosophen und Denker haben folgendes erkannt:

„Eine große Wahrheit ist eine Wahrheit, deren Gegenteil ebenfalls eine große Wahrheit ist.“

Gegensätze

Ein Beispiel ist die Ernährung. Da ich mich schon lange mit Ayurveda beschäftige, weiß ich, dass es wichtig ist, warme und gekochte Speisen zu essen, die das Verdauungsfeuer einerseits aktivieren und die Verdauung andererseits entlasten. Vor kurzem hörte ich einen Vortrag von einem Mediziner, der sehr plausibel erklärte, dass man nur mit Rohkost wirklich alt werden kann. Die Vitamine die in ungekochter Nahrung enthalten sind, wären unerlässlich für die vollständige Funktion der Körperzellen. Die Ballaststoffe und Pflanzenfasern unterstützen die gesunde Funktion des Darms. Doch was stimmt nun – was ist richtig? die absolute Wahrheit

Und noch ein Klassiker der Gegensätze: Wir wissen, dass Yoga, Meditation und Achtsamkeits-Übungen sinnvoll sind, wenn wir uns seelisch und spirituell weiterentwickeln wollen. Oder dass man seine negativen Glaubenssätze auflösen soll, wenn man nicht mehr Sklave der eigenen destruktiven Gedanken sein möchte. Dem gegenüber steht nun aber die Aussage vieler Gurus, die nach vedischer Sicht (advaita Vedanta) – alte indischen Lehre der Ganzheit) behaupten, dass man rein gar nichts tun muss und das alles Tun nur in die Verwirrung führt. Ausschließlich das reine Sein hingegen führe zur Erleuchtung. Wieder herrscht Verwirrung, welcher Weg ist der richtige? Es gibt ja auch keinen Kompromiss, da beide Aussagen total gegensätzlich sind.

Fragile Überzeugungen

Wie fragil unsere Überzeugungen sind, stellen wir dann fest, wenn einer das Gegenteil behauptet und es sich genau so richtig anhört wie unsere bisherige „Wahrheit“. Können wir mit diesem Widerspruch leben? Gibt es überhaupt ein RICHTIG und ein FALSCH? Die Wahrheit ist nun mal nicht auf eine Sichtweise begrenzbar. Man kann alles immer aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Denn wenn ich mich klar für eine bestimmte Wahrheit entscheide, schließe ich ja damit automatisch alle anderen aus und schaffe Trennung. Also respektieren wir, dass es niemals nur eine Wahrheit geben kann, sondern viele – so viele, wie es Menschen auf der Erde gibt. die absolute Wahrheit

Doch wonach handeln?

Doch nach welcher Wahrheit handle ich nun? Um zu handeln muss ich mich doch wiederum entscheiden, oder nicht? Und dabei hilft nicht denken oder analysieren, sondern Intuition und die innere Weisheit. Um die innere Stimme zu hören, sie überhaupt erst wahrzunehmen, das erfordert ein gewisses Maß an Zugang zu sich selbst, den wir durchaus mit Achtsamkeits-Übungen oder Meditation kultivieren können.

Fragen sie sich bspw.:
• was ist meine Motivation?
• was fühlt sich leicht und frei an?
• wozu sagt mein Herz ja?

Es geht eigentlich gar nicht darum, mit seiner Meinung Recht zu haben. Wer Recht haben will, ist im „ego-gesteuerten“ Verstand. Vom Verstand aus kann man die absolute Wahrheit jedoch nie erfassen, denn sie übersteigt jegliches Denken.

Ihre Antje Künstle